Wir sitzen einander gegenüber an einem Tisch in jenem italienischen Restaurant, das mir als Orientierung gedient hatte, als ich mir noch nicht genau merken konnte, wo du wohnst. Heute würde ich blind vor deine Haustüre, die vier Stockwerke hinauf und in dein Bett an deine Seite finden. Heute wäre ich darin jemand zu viel.
Ich hatte gehofft, der Kellner führe uns zu einem Eck- oder gar Fensterplatz, aber nun sitzen wir mitten im Raum – wie auf einer Bühne. Ich mag das nicht. Ich fühle mich am Rande des Geschehens wohler. Überhaupt mag ich Wände. Sie zeigen Grenzen auf, deren Existenz unsagbar wichtig ist, wenn es sich mal wieder anfühlt, als verlaufe ich wie Tusche auf weissem Löschpapier. Ich zwinge mich, dich anzusehen. Du siehst aus, als fühltest du dich nicht weniger unbehaglich als ich. Am liebsten würde ich dich geradeheraus fragen, was wir hier eigentlich tun und weshalb. Weshalb tun alle so, als wäre es unheimlich erstrebenswert, »Freunde zu bleiben«, miteinander essen zu gehen und vorzugeben, all das fühle sich nicht ebenso unangenehm und schmerzhaft an wie eine anderthalbstündige Wurzelbehandlung beim Zahnarzt?
Ich höre deine Stimme zwischen meine Gedanken fahren, deine mir so wohlbekannte Stimme, in die sich kaum merklich etwas anderes gemischt hat. Etwas, das Wände hochzieht und gut bewachte Grenzen schafft. Ob alles okay sei, fragst du. Ich blicke hoch und würde dir für den Bruchteil einer Sekunde am liebsten ins Gesicht schlagen. Dein Gesicht, das ich in der Vergangenheit so oft eingehend betrachtet, jede Linie, Erhebung und Tiefe sanft mit den Fingern nachgefahren bin. Dein Gesicht, das mir zusammen mit deiner Stimme und deinen Berührungen einst so etwas wie ein Zuhause war.
Unser Essen wird serviert und ich bin froh, meine Antwort zwischen einem kurzen Räuspern und dem darauffolgenden »Guten Appetit« ins Bodenlose fallen zu lassen. Ich habe keine Ahnung, wie hier gelandet sind. Es ist eindeutig November, mit gewichtiger Tendenz zum Jahresende hin. Im August lagst du noch in meinem Bett und ich in deinen Armen. Damals war nichts Fremdes in deiner Stimme. Wir hätten niemals in einem mittelprächtigen italienischen Restaurant gesessen und uns währenddessen auf den Mond oder sonst wohin gewünscht. Was ist bloss passiert in all der Wirklichkeit dazwischen? Du hattest mir nie etwas versprochen (…als ob man das in Gefühlsdingen je könnte). Ich war dein stärkendes Pausenbrot und wusste darum. No one to blame but my stupid heart. Heute möchtest du nur noch Freunde sein, aber das unbedingt. Und ich sitze da und frage mich: waren wir je Freunde? Will ich das überhaupt?
Dich sehen tut weh. Mit dir essen gehen tut weh. Mit dir reden und dich dabei ansehen tut weh. Dir nicht mehr durchs Haar streichen zu können tut weh. Zu realisieren, dass Menschen, die einem einst so etwas wir ein Zuhause waren, sich irgendwann wie ein fremdes Land anfühlen können, nach dem man sich still seufzend sehnt, tut weh. Unsere Teller werden abgeräumt, man fragt, ob man uns die Dessertkarte bringen darf. Unsere Blicke treffen sich, ich schüttle den Kopf.
Was ich erkenne, während ich mich zwinge, deinem gefühlt so nahen und zur selben Zeit unerreichbaren Blick noch ein paar weitere Sekunden lang standzuhalten: Auch dir tut das alles weh.