Wenn man viel denkt, stellt man sich auch viele Fragen. Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Sähen meine Haare wirklich gesünder aus, wenn ich jeden Morgen eine Flasche Bier drüberkippen würde?
Oh, dieses liebe bisschen Leben – eine sich dauerimkreisdrehende Fragestunde. Und ungleich viel mehr als das. So gerne und viel ich mir nämlich Gedanken mache und Fragen stelle, in der Hoffnung diese ach so komplexe Welt und das bunte Tamtam in ihr dadurch ein klein wenig besser zu verstehen, so fett unterstrichen spüre ich von Zeit zu Zeit, dass es auch mal gut sein muss. Dass man das rasende Gedankenkarrussel im eigenen Kopf hin und wieder höflich aber bestimmt zum Stillstand bringen sollte – es zumindest versuchen – um für einmal tatsächlich zu sehen, was da alles ist um einen herum. Es zu sehen, zu hören, zu fühlen.
Irgendwo habe ich vor einiger Zeit einen Spruch gelesen, der in etwa Folgendes meinte: »Die Welt da draussen ist so viel grösser als dein Kopf. Wage dich ruhig auch mal raus, du wirst staunen.«
Ich glaube, da ist ganz schön viel dran. Und ich meine darüber hinaus, dass nicht wenige von uns eben hier Nachholbedarf haben. Und so fange ich einfach mal damit an, am heutigen Montagmorgen, der etwas später beginnt als üblich.
Statt den direkten und kürzesten Weg vom Bahnhof zum Büro zu nehmen und mich in Gedanken bereits in den To Do’s des heutigen Arbeitstag zu verheddern, mich zu fragen, wie ich dies hinbekommen soll und jenes abarbeiten kann, im Laufen E-Mails zu checken und mich an Termine zu erinnern, gehe ich heute bewusst den anderen Weg.
Den längeren, der jedoch ungleich schöner ist, da er durch einen kleinen Park führt. Ich schlendere vorbei an Kastanienbäumen, an deren Astwerk sich nur noch wenige, besonders hartnäckige Blätter halten. Unter meinen Füssen höre ich mit jedem Schritt Kieselsteine knirschen. Das Grün der gepflegten Rasenfläche, die sich links und rechts vom Weg zögerlich auszudehnen traut, ist satter als ich es ihr Ende November zugetraut hätte.
Ich bleibe stehen, ziehe den Mantelkragen höher und enger um meinen Hals und verstecke meine Hände daraufhin tief in den Taschen vor dem eisigen Wind. Mein Blick fällt auf eine von welken Blättern zur Hälfte bedeckte Parkbank und ich halte kurz inne, um dem Gefühl der Melancholie, das ich leise in mir aufsteigen fühle, freundlich zuzulächeln, bevor ich den Blick hoch in die Krone eines Baumes schweifen lasse, der direkt beim Parkeingang steht. Sie scheint purpurrot zu glühen. Hie und da lässt sich bereits ein Stück weit Himmel durch das lichter werdende Blattwerk erahnen. In wenigen Tagen wird vermutlich auch von dieser stattlichen Baumkrone bloss noch Astgerippe übrig sein. Hier und jetzt, in diesem Augenblick allerdings tanzt der Spätherbst mit dem tief amberfarbenen, goldgesprenkten Licht der Novembermorgensonne lachend Rumba.
Das sieht man nur, wenn man hinschaut. Ja, schaut man sich für einmal wirklich um und ist zwei, drei Augenblicke lang tatsächlich da – wo auch immer man gerade ist – fühlt es sich mit einem Mal erstaunlich weit und frei an, das Leben.
Zwei, drei Augenblicke lang.
Augenblicke, die zählen, da sie fortwähren.
Weit mehr als man denkt.