Mit Schwung riss sie das Fenster auf sowie beinahe aus den Angeln und warf die drei Rosen, ohne auch nur kurz zu zögern, aus dem vierten Stock. Jene drei roten Rosen, die hier und jetzt nichts weiter taten als sie zu verhöhnen. Arrogant grinsend. Wunderschön. Vom Leben und allem anderen noch dazu mal eben mit eins, zwei, drei Blumenscherenschnitten gekappt.
Das war das Letzte, was sie tat, bevor sie sich in ihr Bett legte und sich eine scheinbar ewig und drei Tage währende Nacht lang Augen, Herz und jeglichen vorhandenen Rest an Hoffnung und Verstand aus ihrer geradezu anmassend unpässlichen körperlichen Hülle weinte. Nein, nicht ganz. Einmal noch schlich sie kurz zurück zum Fenster, schob die Vorhänge vorsichtig zur Seite und blickte hinunter auf die Strasse. Wie sie dalagen, die Blumen, die erst Stunden zuvor einen neuen Abschnitt in ihrem Leben hatten einläuten sollen – oder müsste es vielleicht eher »wollen« heissen? – so traurig und verloren auf dem spärlich beleuchteten mattgrauen Asphalt.
Kennst du das, wenn ein einzelnes Standbild, der Anblick einer an und für sich alltäglich unscheinbaren (Tat-)Sache mehr ist als man in jenem Moment zu ertragen meint? Da in Wahrheit nichts jemals einfach bloss ein Standbild ist, geschweige denn eine an und für sich alltäglich unscheinbare (Tat-)Sache, sondern so verdammte Herzweh-Scheisse viel mehr. Sei es drum. Als sie am nächsten Morgen aufstand, mit verquollenen und von mangelndem Schlaf gezeichneten Augen, tappte sie als Erstes zum Fenster, schob die Vorhänge zurück und öffnete es, ohne grossen Schwung dieses Mal.
Während sie die herbstkalte Luft dankbar und so tief wie es eben ging einatmete, die jener Morgen Ende September ihr grosszügig feilbot, fiel ihr Blick hinunter auf die im fahlen Dämmerlicht vor ihr liegende Strasse. Drei blassbraun auf dem frühmorgenkalten Asphalt plattgedrückte Flecken waren alles, was von der einstigen Existenz der drei Rosen von gestern Abend zeugten. Allem Anschein nach war ein Bus darüber gefahren. Oder auch zwei. Oder drei. Man würde nicht erkennen, woher die Flecken stammen, wüsste man es nicht. Sie wusste es.
Während sie die erneut hochschiessenden Tränen mühsam hinunterzuschlucken versuchte (wieviel Tränenflüssigkeit besitzt ein einzelner Mensch eigentlich, meine Güte aber auch…?), wandte sie den Blick ruckartig von der Plattbrauneflecken-Szenerie ab und schlurfte ins Badezimmer.
»Bitte lass die Flecken noch im Laufe des heutigen Tages verschwinden«, flüsterte sie sich selbst zu, während sie zu Zahnbürste und Zahnpasta griff und sich die Nacht aus der Mundhöhle zu schrubben versuchte – während ein Blick in den Spiegel schonungslos offenbarte, was im Grunde längst offensichtlich war. Was ihr dort von der anderen Seite des Badezimmerspiegels her müde und mutlos entgegenblickte, waren tatsächlich nichts weiter als drei blassbraun plattgewalzte Flecken auf fahlgrauem Grund. Angewidert schloss sie die Augen – und damit das eben erst angefangene Kapitel, das noch nicht einmal zwei volle Seiten zu füllen vermochte.
Game over. You lose.