2014 – Du Schuft von einem Jahr! Wie eine einzige grosse Prüfung kamst du mir vor, wie der ultimative Endkampf gegen den ultimativen Endgegner im ultimativen Lieblingsgame. Beinahe hättest du mich gekriegt. Aber nur beinahe. Und so stehe ich nun hier am Bahnhof, mit aufgeschürften Knien und ein, zwei blauen Flecken und blicke dich an durch das Zugfenster, hinter dessen Scheiben du sitzt – mit gepackten Koffern und all den gut verstauten Chancen.
Ich mag es, Dinge oder auch Menschen durch Scheiben hindurch zu betrachten. Scheiben bedeuten Sicherheit. Du kannst dir alles genau anschauen und musst dennoch nicht fürchten, hineinzufallen, in die ganze Szenerie – mit Haut und Haar, mit Wahrheit und Herz. Und so betrachte ich dich – 2014 – durch die Zugfensterscheibe und vielleicht das erste Mal seit Wochen und Monaten fürchte ich mich nicht vor dir.
Nun du bist ja auch gerade am gehen, sozusagen… Aber es gab Zeiten, da warst du da. Du schienst so unüberwindbar, wie die Alpen, der Nordatlantik oder die Stille in mir. Du hast dich einfach vor mich gestellt, die Arme verschränkt und mir auffordernd zugenickt. Und was habe ich sie angenommen, deine Herausforderung. Wir haben gekämpft, du und ich, erinnerst du dich? Wie wildgewordene Schwäne haben wir miteinander gekämpft – anmutig beizeiten, keifend bisweilen, stolz immerzu. Ich meine ja, du hattest angefangen, aber im Grunde spielt das nun alles keine Rolle mehr. Wir haben beide Federn gelassen in den vergangenen zwölf Monaten, bloss meine werden nachwachsen, während deine, fein säuberlich in einem deiner Koffer verstaut, gemeinsam mit dir in die Vergangenheit reisen.
Man mag das vielleicht ungerecht finden. Ich für meinen Teil bin der Ansicht, dass das schon in Ordnung ist. Ich war ja schliesslich auch schon vor dir hier, also ist es doch nur fair, wenn ich auch nach dir noch da bin. Oder nicht? Ich kann den Blick, den du mir nun aus dem Zugfenster entgegenwirfst, nicht ganz deuten – und ich bin mir nicht sicher, ob es am leichten Spiegeln der Scheiben liegt, oder daran, dass ich ihn in Tat und Wahrheit vielleicht gar nicht deuten können will. Sei es drum, es wird langsam Zeit. Falls du mir noch irgendetwas hattest sagen wollen, dann wäre nun wohl der richtige Zeitpunkt.
Du schweigst, nun gut. Dann lass mich dir noch ein paar letzte Sätze sagen, bevor sich unsere Wege endgültig und für immer trennen. Ich habe dich die meiste Zeit unseres Zusammenseins über verabscheut – ja, aber wie! Du hast mich getriezt und gepiesackt, wie und wo du nur konntest. Es gab Zeiten, da schien es mir, es bereite dir eine höllische Freude, mich in blinder Verzweiflung um mich schlagen zu sehen. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Du hast es mir so verdammt schwer gemacht – ja, beinahe zu schwer, 2014… und dafür danke ich dir. Du hast mich immer wieder aufstehen lassen, als ich das Gefühl hatte, nicht wieder aufstehen zu können, du hast mich gelehrt, noch mehr zu kämpfen, noch mehr zu hoffen, noch mehr zu glauben. Du hast mich so weit herausgefordert, dass ich mich meiner ungeahnten Fähigkeit zu Fliegen bedienen musste, um nicht über den steilen Klippenrand zu stürzen. Und verdammt nochmal, ich bin geflogen!
Auf die Fresse und über den Wolken – in einem einzigen Jahr, zwölf Monaten, zweiundfünfzig Wochen, dreihundertfünfundsechzig elenden, sommersonnigen, kaum auszuhaltenden, Tränen lachenden, verzweifelten, liebenden, vor Angst zerfressenen, aufgeregten, gelebten scheissfabelhaften Tagen. Ich habe geweint und gelacht, gelitten und gelebt. Ich bin um vier Millimeter gewachsen und weiss, dass es schon irgendwie klappt, das Leben – wenn man es denn will.
Und so stehe ich nun hier, lege den Kopf schief und lächle, während ich dich und deine ernste Miene durch die Zugfensterscheibe betrachte. So wie man den Kopf schief legt und lächelt, während man still jemanden beobachtet, den man liebt. Du hast mich herausgefordert, 2014 – und ich habe die Herausforderung angenommen. Du warst mir eine Lehre und vermutlich ist es genau das, was am Ende zählt.
Ich nicke dir noch einmal zu und du nickst zurück. Durch die Scheibe, die Sicherheit verspricht, die wir beide nun nicht mehr nötig haben. Wenn es ok für dich ist, bleibe ich noch ein wenig am Bahnsteig stehen, nur solange bis dein Zug sich langsam in Bewegung setzt. Mitlaufen und Winken werde ich nicht, keine Angst. Ich werde auf dem Absatz kehrtmachen und zurück in Richtung Bahnhofshalle laufen, um auf der Anzeigetafel nachzuschauen, auf welchem Gleis bald jener Zug einfahren wird, der mir 2015 bringt. Neues Spiel, neues Glück – ja, ich bin bereit.