Nie wirst du auch nur annähernd alles von mir wissen und ich nie auch nur annähernd alles von dir. Dennoch ist da das Bild, welches ich mir Tag für Tag aufs Neue von dir mache. Jenes Bild, das ich mit einem stummen »Klick« in meinem Kopf knipse, jedes Mal wenn ich blinzle, während du in meinem Blickfeld bist. Manche auf diese Weise gedanklich geknipsten Momentaufnahmen von dir erscheinen mir klarer als solche von mir. Vielleicht, da ich kaum je blinzle, während ich in den Spiegel schaue, vielleicht auch, da der eigene Blick auf andere nicht selten aufrichtiger ist als auf sich selbst.
Ich finde mich in so vielen Situationen mit dir wieder. Es fühlt sich an, als wären Wissen und Glauben, Achtsamkeit und Leichtsinn weniger Gegenspieler als heimliche Matchpartner. Wenn ich dich betrachte, still und heimlich von der Seite her und mir dabei das Herz aufgeht, wenn ich den Worten lausche, die es sich mit dem Klang deiner Stimme in der Stille um uns herum gemütlich machen. Wenn ich ihnen meine eigenen zur Seite stelle und wir zusehen, wie sie sich vorsichtig nähern, einander lächelnd umgarnen, manchmal raufen, sich balgen und wieder versöhnen.
Wenn ich nachts wachliege und mich frage, wie es wäre, wären wir nicht wir, sondern du ohne ich und ich ohne du, das dabei erdachte Bild aber ebenso verschwommen bleibt, wie meine Ahnung von der Zukunft und was auch immer sie bringen mag. Wenn ich mir vorstelle, wie du mich im Arm hältst und mir das Wissen darum, wie nahe du bist, egal ob du hier bist oder nicht, Schauer über den Rücken jagt. Schauer, die leise flüsternd von Vertrauen erzählen. Von Vertrauen und einer Stille, die nicht Abwesenheit von etwas, sondern Einklang meint.
Nie wirst du auch nur annähernd alles von mir wissen und ich nie auch nur annähernd alles von dir. Das ist gut so, finde ich. Es lässt Raum für Fragen aneinander, ebenso wie an sich selbst und wo Fragen sind, wohnen bekanntlich auch Interesse und Neugier. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte – es wäre, ein ewiges Rätsel für dich zu bleiben, ebenso wie in dir stets eines zu sehen.
Ein Rätsel, das man immer nur beinahe durchschaut hat, von dem man zu jeder Zeit glaubt, es in der nächsten Minute vielleicht lösen zu können, bloss um kurz darauf vor der nächsten Verstehenslücke, der nächsten kniffligen Frage zu stehen. Ich kann mir wenig Schöneres vorstellen, als dich und mich, wie wir nie müde werden, den jeweils anderen lesen und verstehen zu wollen.
Das meinte ich, als ich dir neulich zuflüsterte: »Nie ist hin und wieder ganz gut.«