Ich sitze spätabends am Fenster, in meinen Händen eine Tasse mit kalt gewordenem Tee. Während ich hinunter auf die menschenleere Gasse blicke, lasse ich die sechs Worte, aus denen die Frage »was hat man tatsächlich zu verlieren?« besteht, in der raumfüllenden Stille nachhallen, die Ungewissheit zu zeichnen vermag. In Gedanken bohre ich meine Fingernägel in jenen Blick für das Unwesentliche, den ich hin und wieder einschalte, erwartungsvoll an einer Schnur ziehend wie bei einer alten Tischlampe. Einem unscheinbaren Exemplar mit vergilbtem Stoffschirm, das in irgendeiner Ecke des Raumes auf einem Schreibtisch steht. Von dessen mattem Licht man sich erhofft, dass es die allzu sichtbaren Kanten weicher und die eigene Wahrnehmung nach und nach etwas versöhnlicher werden lässt.
In solchen Augenblicken schubst jener Blick auf dich, auf dich und mich und all die Unwiederbringlichkeit dazwischen meine einige Etagen tiefer rumorende Angst vor allem, was weiter wegfallen könnte, sanft aber bestimmt und ohne Fehlgriff von A-Moll hin zu D-Dur. Ein tonloser Seufzer und ich atme die Überzeugung ein, dass Unbekanntes bei Weitem nicht immer neu sein muss und dass, was man nicht weiss, nicht selten das Eigentliche ist.
Da ist monotones Rauschen in meinem Kopf und leises Murmeln in meiner Brust. Da ist Störfrequenz, immer wieder kurz den Atem anhalten. Da sind Erinnerungen an Tage, die vielleicht niemand je erlebt hat und sich womöglich eben deshalb nicht wahrer anfühlen könnten. Ich schreibe sie in Schönschrift neben die Furcht vor verpassten Chancen, falsch klingenden Teilsätzen, all den nicht gestellten Fragen und jedem einzelnen Moment, da es mir schrecklich wehtut, das Leben. Irgendwann lege ich den imaginären Stift aus der Hand und hoffe, dass ich jene Zeilen an stürmischen Tagen erneut aus irgendeiner Schublade meines Bewusstseins rauskramen werde. An stürmischen Tagen und in gefühlt endlosen Nächten.
Ich greife Kommata in den unterschiedlichsten Grössen und Farben aus der Luft, drehe mich erst langsam, dann immer schneller im Kreis und werfe sie wie Konfetti – weg von mir und all den angefangenen, nie je zu Ende gefühlten Sätzen. In den Leerschlägen dazwischen wünsche ich mir einen einzelnen perfekten Punkt und die Überzeugung, dass nichts für immer verloren gehen kann.